Allgemeines zu den Voraussetzungen der medizinischen Rehabilitation
Gemäss Art. 25 Abs. 2 lit. d KVG werden die Kosten einer ärztlich verordneten Reha übernommen, wenn die Voraussetzungen von Anhang I Ziff. 11 KLV gegeben sind.
Die Rehabilitation bezweckt, nachdem die Behandlung der Krankheit an sich abgeschlossen ist, dass Therapieformen zur Nachbehandlung der Krankheit zur Anwendung gelangen. Die Rehabilitation soll die durch die Krankheit oder die Behandlung selbst bewirkte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit mit Hilfe medizinischer Massnahmen ganz oder teilweise beheben. Die Rehabilitation ist also auf die Wiedererlangung verlorener oder die Verbesserung beeinträchtigter Funktionsfähigkeiten mit medizinischen Mitteln gerichtet.[1]
Die medizinische Rehabilitation kann ambulant, teilstationär, in einer Kuranstalt, in einem Pflegeheim oder in einer spezialisierten Rehabilitationsklinik erfolgen. Sofern die medizinische Rehabilitation in einer spezialisierten Rehabilitationsklinik durchgeführt wird, ist eine Spitalbedürftigkeit vorausgesetzt. Die Spitalbedürftigkeit ist gegeben, sofern die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Massnahmen nur in einem Spital (d. h. unter Inanspruchnahme eines Spitalbettes) zweckmässig durchgeführt werden können, weil sie zwingend der dortigen apparativen und personellen Voraussetzungen bedürfen, oder sofern die Möglichkeiten ambulanter Behandlung erschöpft sind und nur noch im Rahmen eines Spitalaufenthaltes Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht.[2] Es ist somit erforderlich, dass ohne medizinische Rehabilitation die notwendige medizinische Behandlung nicht durchführbar wäre, und zwar auch nicht mit den Mitteln der Krankenpflege zu Hause oder in einem Kurhaus.
Kostenübernahme der obligatorischen Krankenpflegeversicherung besteht nur auf vorgängige besondere Gutsprache des Versicherers, der die Empfehlung des Vertrauensarztes oder der Vertrauensärztin berücksichtigt. Seitens des Vertrauensarztes werden die Rehabedürftigkeit und die Rehafähigkeit anhand der WZW-Kriterien (wirtschaftlich, zweckmässig und wissenschaftlich) gemäss Art. 32 KVG geklärt. Eine Leistung ist im Sinne von Art. 32 Abs. 1 KVG wirksam, wenn sie objektiv den Erfolg der Behandlung der Krankheit erwarten lässt. Die Wirksamkeit (wie auch die Zweckmässigkeit) einer Behandlung beurteilt sich im Hinblick auf den durch sie angestrebten Nutzen im Einzelfall.[3] Daraus, dass durch die Massnahme grundsätzlich eine möglichst vollständige Beseitigung der gesundheitlichen Beeinträchtigung erzielt werden soll[4], lässt sich indessen nicht schliessen, dass nur kurative Therapien wirksam wären.[5] Einer bestimmten Behandlung kann daher die Wirksamkeit nicht allein mit der Begründung abgesprochen werden, es gehe nicht um die Bekämpfung der Ursachen der Krankheit, sondern nur um die Behandlung der Symptome.[6]
Wirksamkeit meint in Art. 32 Abs. 1 KVG die einfache Tatsache der allgemeinen Eignung zur Zielerreichung. Eine Leistung gilt als wirksam, wenn sie objektiv geeignet ist, auf den angestrebten medizinischen Nutzen hinzuwirken,[7] bzw. wenn sie den Verlauf einer Krankheit günstig beeinflusst. Wirksamkeit stellt einen Teilgehalt der Zweckmässigkeit dar.[8] Zweckmässigkeit setzt Wirksamkeit voraus und versteht sich als angemessene Eignung im Einzelfall. Zweckmässig ist jene Anwendung, welche gemessen am angestrebten Erfolg und unter Berücksichtigung der Risiken den besten diagnostischen oder therapeutischen Nutzen aufweist. Die Beurteilung richtet sich grundsätzlich nach objektiven medizinischen Kriterien. Ist eine Indikation medizinisch ausgewiesen, ist es auch die Zweckmässigkeit.[9]
Schlussfolgerungen für Langzeitfolgen von Covid19 / LongCovid / Post-Covid
Mit grosser Wahrscheinlichkeit scheitern die meisten Gesuche um Kostenübernahme einer medizinischen Rehabilitation bei Langzeitfolgen Covid19 an der Voraussetzung der Spitalbedürftigkeit. Die obligatorische Krankenpflegeversicherung wird argumentieren, dass die ambulanten Therapieformen noch nicht ausgeschöpft seien. In dieser Konstellation sollte die erkrankte Person ihren behandelnden Arzt / ihre behandelnde Ärztin bitten, gegenüber der obligatorischen Krankenpflegeversicherung oder noch besser direkt gegenüber dem Vertrauensarzt - von Arzt zu Arzt - eingehend zu begründen, weshalb die Therapie nur in einer spezialisierten Rehabilitationsklinik durchgeführt werden kann.
Die meisten obligatorischen Krankenpflegeversicherungen lehnen in der Praxis Kostenübernahmegesuche zunächst mittels formlosem Schreiben, d. h. nicht mittels "anfechtbarer Verfügung mit Rechtsmittelbelehrung", ab. Eine Reaktion auf eine solche formlose Ablehnung, die Krankenkasse solle doch eine Kostengutsprache nochmals prüfen, ist kein Wiedererwägungsgesuch im juristischen Sinn. Gleichwohl ist eine zeitnahe Reaktion (wenige Wochen) auf dem Schriftweg (per Einschreiben) empfehlenswert. Auch empfiehlt es sich bei eingehender Begründung der Spitalbedürftigkeit durch den behandelnden Arzt, eine "anfechtbare Verfügung" zu verlangen. Erst die Verfügung eröffnet den Rechtsweg. Sofern die obligatorische Krankenpflegeversicherung das Leistungsbegehren mittels Verfügung abgewiesen hat, ist unverzügliches Handeln notwendig, da die Rechtsmittelfrist lediglich 30 Tage ab Zustellung der Verfügung beträgt. In diesem Fall kann Einsprache gegen die Leistungsablehnung erhoben werden. Spätestens dann empfiehlt es sich einen Anwalt beizuziehen. Das Einspracheverfahren an sich ist kostenlos, jedoch fallen die eigenen Anwaltskosten an - eine Rechtsschutzversicherung ist dann von Vorteil.
Aber auch wenn die Spitalbedürftigkeit, d. h. die Notwendigkeit der Rehabilitation in einer spezialisierten Rehabilitationsklinik, nicht ausgewiesen ist, so bedeutet dies nicht, dass keinerlei Kostenübernahme für medizinische Rehabilitation seitens der obligatorischen Krankenpflegeversicherung möglich ist. Ausgeschlossen ist lediglich die medizinische Rehabilitation in einer spezialisierten Rehabilitationsklinik. Medizinische Rehabilitation in einem ambulanten / teilstationären Setting, oder in einer Kuranstalt oder in einem Pflegeheim ist nach wie vor möglich.
Viele Personen in der Schweiz verfügen über eine Zusatzversicherung. Solche Zusatzversicherungen ergänzen den Versicherungsschutz der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und haben teilweise andere Leistungsvoraussetzungen. Es kann deshalb lohnend sein, Ansprüche auf medizinische Rehabilitation direkt gegenüber einer allfälligen Zusatzversicherungen geltend zu machen. Da die Vielfalt der Zusatzversicherungen aber fast unüberschaubar ist, sind generelle Aussagen unmöglich. Unabdingbar ist ein Blick in die Police.
lic. iur. Sebastian Lorentz
Fachanwalt SAV Haftpflicht- und Versicherungsrecht
CAS Prozessführung – Civil Litigation
[1] BGE 126 V 323 E. 2c; Urteil 9C_253/2020 vom 05.06.2020 E. 2.2 und 2.3.
[2] Urteil 9C_413/2012 vom 14.02.2013 E. 4.2.
[3] BGE 130 V 299 E. 6.1.
[4] BGE 127 V 148 E. 5.
[5] BGE 136 V 395 E. 5.2.
[6] BGE 130 V 299 E. 6.2.1.1; Urteil 9C_374/2010 vom 23.12.2010 E. 4.2; Urteil 9C_528/2016 vom 28.02.2017 E. 3.1.
[7] BGE 133 V 115 E. 3.1; Urteil 9C_824/2007 vom 03.04.2008 E. 3.3.2.
[8] Urteil K 142/03 vom 24.06.2004 E. 1.2.
[9] BGE 130 V 532 E. 2.2; BGE 130 V 299 E. 6.1; BGE 127 V 138 E. 5; BGE 125 V 95 E. 4.a.